25 Jahre ohne Gentechnik in Österreich
Ein ganz persönlicher Rückblick
Eigentlich fast unglaublich: In diesem Jahr jährte es sich bereits zum 25. Mal, dass sich Österreich als europaweiter – ja sogar: weltweiter! – Vorreiter mit aller Entschlossenheit in Richtung Gentechnik-Freiheit bei Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion gestellt hat. Und 25 Jahre nach dem aufsehenerregenden Gentechnik-Volksbegehren, bei dem 1.227.349 Österreicherinnen und Österreichern nach einer überaus emotionalen Mobilisierungskampagne ihre Stimme gegen die Gentechnik erhoben hatten, ist Österreich Vorreiter geblieben: Die ARGE Gentechnik-frei, Europas erstes Kennzeichnungssystem für Lebensmittel ohne Gentechnik, hat sich als wichtige Qualitätsinstitution auf dem heimischen Markt etabliert. Gentechnik-Freiheit ist zum besonderen Qualitätsmerkmal für heimische Lebensmittel geworden, mit mehreren Produktionsbereichen (Milch & Milchprodukte, Eier, Geflügel), die schon seit mehr als zehn Jahren komplett auf Gentechnik-frei umgestellt sind.

Aber die Rolle als Vorreiter hat Nachahmer gefunden: Mittlerweile sind Lebensmittel ohne Gentechnik in vielen europäischen Ländern zum stark nachgefragten Qualitätsfaktor am Markt geworden. Das österreichische Beispiel hat Schule gemacht, der Gentechnik-freie Samen trägt mittlerweile europaweit Früchte.

Das Jubiläum ist also wahrlich ein Anlass, um ein wenig zurückzublicken. Denn: Erfolge müssen gefeiert werden – auch um die Zuversicht und das Commitment der vielen Menschen zu stärken, die zu ihrem Erreichen notwendig sind.
Es ist aber auch ein Anlass, um nach vorne zu schauen – sich den aktuellen Challenges zu stellen, aber ganz speziell auch darauf zu achten, dass die richtigen Rahmenbedingungen für den Erfolg am Markt auch weiterhin bestehen.
„Wer aufhört, besser zu werden, hat aufgehört, gut zu sein“ hat einmal der Industrielle Philipp Rosenthal gesagt. Für mich ist das ein hervorragendes Motto, an das ich mich selber, aber auch mit der so viele wertvolle Menschen umfassenden Plattform ARGE Gentechnik-frei halten möchte.
25 Jahre ohne Gentechnik in Österreich ist verbunden mit einer schier endlosen Zahl an wertvollen und kraftvollen Erinnerungen, die für mich zum Erfolgsgeheimnis dieses so einzigartigen Projektes dazugehören. Ein paar Blitzlichter und Highlights aufzulisten sei mir hier erlaubt:
- Zahllose Strategiesitzungen, noch vor dem Gentechnik-Volksbegehren – damals noch in meiner Funktion als Kommunikations-Chef bei Greenpeace. Dabei gelang es, eine in Österreich und Europa fast unvergleichliche Bewegung gegen Gentechnik in Landwirtschaft und Lebensmitteln in Gang zu setzen – quer durch Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, bis hin zur Kirche.
- Unvergesslich: mit Hans Dichand und einigen klugen Denkern und Lenkern des Gentechnik-Volksbegehrens, wie z.B. Peter Weish, Lothar Lockl, Wolfgang Pekny und vielen anderen eine Bewegung zu zimmern, die mehr als ein Jahr lang das Land in Atem hielt und signifikant bewegte bzw. veränderte.
- 14. April 1997 – die unvergessliche Nacht im Naturhistorischen Museum: Mit 1.227.349 Unterschriften gegen den Einsatz der Gentechnik in Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion hat das Gentechnik-Volksbegehren ein europaweit unvergleichliches Zeichen gesetzt!
- Ein Signal des Mutes, als der unermüdliche Kämpfer und Agrarhändler Karl Pilstl im August 1997 auf eigenes Risiko und eigene Kosten das erste Schiff mit Gentechnik-freier Soja aus Brasilien nach Österreich gebracht hat. Die Außenborder der Greenpeace-Schlauchboote, die den Frachter begrüßten, waren eine mehr als stimmige Willkommensmusik.
- Erinnerungen an viele zutiefst engagierte Menschen, die maßgeblich das Gelingen der ARGE Gentechnik-frei mitgeprägt haben – von manchen, die leider viel zu früh von uns gegangen sind, wie der unvergessliche Herbert Allersdorfer vom Ernte-verband (jetzt: Bio Austria) oder Philipp Markl, damals tatkräftiger Kommunikations-chef bei Spar, mussten wir uns leider bereits verabschieden.
- Viele andere sind aber nach wie vor tatkräftig mit dabei: Zuallererst mein guter Freund und Kollege in der Führung der ARGE Gentechnik-frei, Markus Schörpf – seit Anbeginn Obmann der Plattform, dessen Beharrlichkeit, Klugheit, Erfahrung und menschlicher Wärme die ARGE Gentechnik-frei Enormes verdankt.
- Aber natürlich auch Werner Lampert, Rupert Bauinger, Ton Hubmann, Andreas Geissler, Nicole Berkmann, Alfred Matousek, Helmut Gaugitsch, Ludwig Maurer und und und… Die Liste wäre endlos lang – die Botschaft daraus aber ist glasklar: Es waren immer und zu jeder Zeit besonders engagierte Menschen, mit sehr viel Kompetenz und sehr viel Herzblut, die wesentlich dazu beigetragen haben, dass diese Plattform über die Jahre bestehen und wachsen konnte – auch wenn wir immer wieder ordentlichen Hürden gegenübergestanden sind und nach wie vor gegenüberstehen.
Die Liste der Erfolge ist lang – auch hier nur exemplarisch ein paar Highlights:
- Der erste Ohne Gentechnik Standard weltweit, im September 1997 vom Team der ARGE Gentechnik-frei erarbeitet, ab Frühjahr 1998 im Österreichischen Lebensmittel-Codex verankert.
- Die ersten Gentechnik-frei gekennzeichneten Produkte weltweit – 1998 als Bio-Produkte bei SPAR; 1999 als erste konventionell Gentechnik-freie Produkte beim Bäcker Karl Hager in Murau.
- Toni’s Freilandeier und Tirolmilch als die ersten Pionier-Betriebe, die im Jahr 2003 große Teile ihrer Produktion auf ohne Gentechnik umstellten.
- Und es ist gelungen, ganze Marktsegmente zu verändern: Noch immer beneiden uns die Nachbarmärkte, dass bereits 2010 die komplette Milchproduktion und die komplette Eierproduktion auf Gentechnik-frei umgestellt werden konnten; 2012 war es dann die komplette Geflügelmast.
- Aber die Errungenschaften gingen weit über die Produktkennzeichnung hinaus: Ich bin überzeugt, dass mit der Gentechnik-freien Produktion in großem Umfang auch die Qualitätsproduktion generell weiterentwickelt werden konnte – denn immerhin wurden damit Kontrolle, Zertifizierung und Rückverfolgbarkeit auch im konventionellen Bereich zum unverzichtbaren Standard.
- Und es entstanden aus der Gentechnik-freien Produktion heraus Impulse für Veränderungen und Entwicklungen auch in anderen Bereichen:
- Statt Soja aus Lateinamerika wurden in vielen Produktionssegmenten regionale heimische Eiweißträger forciert.
- Ganz besonders freut es mich, dass ich meinen langjährigen Wegbegleiter und Freund Matthias Krön bei der Gründung von Donau Soja unterstützen durfte – ein für ganz Europa zukunftsweisendes Projekt in Richtung nachhaltiger, Gentechnik-freier Produktion.
- Die wachsende Selbstverständlichkeit von Kontrollen und Eigenkontrollen, auch im konventionellen Bereich.
- Die Lebensmittelanalytik wurde signifikant weiterentwickelt. PCR-Tests finden nicht nur unsere Corona-Viren, sondern sind seit langer Zeit unverzichtbar in der Qualitätssicherung und bei der Analyse auf Verunreinigungen mit GVOs geworden.
- Und es ist gelungen, branchenübergreifende Qualitätssicherungs-Instrumente umzusetzen, wie zum Beispiel die Futtermitteldatenbank, die die ARGE Gentechnik-frei gemeinsam mit der Mischfutter-Branche betreibt und in die die gewerblichen Futtermittelhersteller regelmäßig die Analyseergebnisse aus ihrer Qualitätssicherung eintragen – und damit beispiellose Kontrolle und Übersicht über die Qualität und Sicherheit der Gentechnik-freien Produktion möglich machen.
So könnte es noch lange weitergehen…

Die ARGE Gentechnik-frei konnte über 25 Jahre hinweg enorme Erfolge für sich verbuchen – wenn auch mit vielen Up’s and Down’s.
Eines meiner wertvollsten Learnings in diesen aufregenden Jahren: Erfolg ist kein Besitz!
Wir müssen immer wieder daran arbeiten, Standards und Prozesse neu zu definieren, an der Qualität der Zusammenarbeit zu schrauben, achtsam mit all unseren Ressourcen umzugehen, und vor allem sehr gut aufeinander hören.
Eines der wesentlichen Erfolgsgeheimnisse der ARGE Gentechnik-frei liegt für mich allerdings auf einer ganz anderen Ebene: Über all die 25 Jahre hinweg war die konstruktive und lösungsorientierte Zusammenarbeit auf Augenhöhe, speziell im Kreise von Vorstand und Beirat, ein zentraler und essenzieller Faktor, dass sich die ARGE Gentechnik-frei über alle Branchengrenzen hinweg erfolgreich entwickeln konnte. Mir ist kaum ein vergleichbares Projekt bekannt, wo vehemente Mitbewerber am Markt wie z.B. der nahezu komplette Lebensmittelhandel derart langfristig, lösungsorientiert und konstruktiv zusammenarbeiten; oder wo von allem Anfang an „kritische“ Partner wie NGOs auf Augenhöhe in alle Entscheidungsprozesse eingebunden sind. Gelebtes Stakeholder-Management also, seit 25 Jahren – lange bevor der Begriff Stakeholder geläufig wurde.
Nicht umsonst ist diese besonders hohe Qualität der Zusammenarbeit im Jahr 2017 mit dem TRIGOS, der höchsten Auszeichnung für nachhaltiges Wirtschaften, ausgelobt worden.
Und es gibt noch viel zu tun!
Sich zum Anlass 25 Jahre ohne Gentechnik in Österreich der Erfolge der letzten Jahre und Jahrzehnte zu besinnen ist wichtig und richtig – denn daraus lässt sich Kraft für die weiteren Challenges schöpfen, die uns bevorstehen.
Der Blick nach vorne zeigt ganz klar, wie sehr wir dranbleiben müssen, um diese ersten Erfolge auch nachhaltig und langfristig abzusichern:
- um sicherzustellen, dass wirklich ALLE, entlang der gesamten Wertschöpfungskette, einen Mehrwert aus der Gentechnik-freien Produktion ziehen können;
- um die bevorstehende, enorm komplexe Auseinandersetzung mit der EU-Kommission und der Gentechnik-Wirtschaft für eine klare, strenge und sichere Gentechnik-Gesetzgebung auch für die Neue Gentechnik positiv beenden zu können;
- um die Preistreibereien – egal ob kriegsbedingt, durch die Energiekrise ausgelöst oder einfach nur durch Habgier verursacht – bewältigen zu können;
- um neue wichtige Segmente für die Produktion Ohne Gentechnik gewinnen zu können – von der Schweinemast bis zu komplexer verarbeiteten Produkten.
Mit 25 Jahren ist die ARGE Gentechnik-frei zwar erwachsen geworden – aber weit davon entfernt, alle Probleme bewältigt zu haben.
Aber die Kraft der Menschen, die daran arbeiten, und die Kraft der guten und richtigen Idee hat auch nach 25 Jahren nicht an Stärke, Dynamik und dem klaren Blick nach vorne verloren. Und das ist gut so!
Ich freue mich enorm darauf, auch in den nächsten Jahren mit diesen Menschen, mit diesem Spirit und mit dieser einzigartigen Bereitschaft zur Zusammenarbeit im Sinne einer Gentechnik-freien Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion weiterarbeiten zu dürfen.
Ihr Florian Faber
Geschäftsführer
ARGE Gentechnik-frei