Muss EU-Kommission die Gentechnik-Befragung wiederholen?
Von Ende April bis in den Sommer hinein lief das Impact Assessment der EU-Kommission zu den Verfahren der Neuen Gentechnik. Der Konsultationsprozess stieß auf massive Kritik – von Wirtschaftstreibenden aus dem Ohne Gentechnik-Sektor, zahlreichen Bio-Betrieben, NGOs und Konsument:innen. Grund dafür: Einseitige Fragestellungen, mangelnde Transparenz und eine ganz offenkundige Voreingenommenheit der Kommission in Richtung Deregulierung der aktuellen EU-Gentechnik-Gesetzgebung.
40 europäische Organisationen – darunter auch die ARGE Gentechnik-frei – kritisierten in einem Offenen Brief an EU-Kommissarin Stella Kyriakides das Konsultationsverfahren der EU-Kommission zu neuer Gentechnik scharf und forderten, dieses zumindest in Teilen zu wiederholen. Auch die österreichische Bundesregierung gibt in einem Schreiben an die EU-Kommission ihre fundierte Kritik an der laufenden Konsultation kund.
Im Brennpunkt der Kritik: Die „gezielte Befragung“ (Targeted Survey) im Sommer 2022, die sich als Ergänzung zur öffentlichen und allgemein zugänglichen Konsultation von Ende April bis Juli europaweit an lediglich rund 400 ausgewählte Organisationen und Institutionen richtete. Transparenz wurde dabei klein geschrieben: Welche Organisationen und Experten das waren, wie sie ausgewählt wurden und wie die Antworten gewichtet und ausgewertet werden, ist bislang öffentlich nicht bekannt.
Undurchsichtige und fachliche fragwürdige Umfrage
Auch die ARGE Gentechnik-frei war eingeladen, den Targeted Survey zu beantworten. Allerdings: Auch diese „Expertenbefragung“ war ähnlich einseitig und voreingenommen formuliert wie schon zuvor die öffentliche Konsultation. Die konkret zur Bewertung vorgestellten politischen „Szenarien“ machten die offensichtlichen Deregulierungsabsichten der EU-Kommission klar: „Viele der Fragen und die zugrunde liegenden Szenarien und Begleittexte entlarvten ganz eindeutig das für die Kommission scheinbar schon feststehende Ziel einer Deregulierung von NGTs. Sie erfüllen definitiv nicht den Zweck einer neutralen Bewertung von politischen Optionen in dieser überaus komplexen Sachlage“, erklärte Florian Faber, Geschäftsführer der ARGE Gentechnik-frei, in einem Schreiben an die EU-Kommission.
Fachlich besonders fragwürdig: Die Befragten wurden gebeten, ihre Erwartungen für die Marktentwicklung im Zeitraum 2030 – 2035 (!) im Stile einer Meinungsumfrage abzugeben. „Wir alle wissen, wie schwierig es bereits ist, die Marktentwicklung für die nächsten 2-3 Jahre zu prognostizieren. Dies für das Jahr 2030 und darüber hinaus zu tun kann jedenfalls nur zu Spekulation und wenig realitätsbezogenen Schätzungen führen. Auf Basis derart vager Zahlen politische Entscheidungen für ganz Europa vorzunehmen ist höchst unangebracht. Der ‚Targeted Survey‘ erfüllt eindeutig nicht die von der EU-Kommission selbst geforderten Standards für eine gezielte Konsultation“, so Florian Faber.
Die ARGE Gentechnik-frei hat daher der Kommission detailliert mitgeteilt, dass sie sich wegen mangelnder Qualität der Befragung NICHT an der „gezielten Befragung“ beteiligt.
Europaweit Teilnahme an voreingenommener Befragung abgelehnt
Gemeinsam mit der ARGE Gentechnik-frei haben sich 40 Verbände und Organisationen aus dem Bereich der konventionellen und biologischen Land- und Lebensmittelwirtschaft sowie aus Umweltschutz und Wissenschaft (darunter ENGA, IFOAM, BÖLW, Verbraucherzentrale, Greenpeace und Friends of the Earth) in einem Offenen Brief an EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides gewandt und eine zumindest teilweise Wiederholung des Konsultationsverfahrens gefordert. Die meisten der Organisationen haben eine Teilnahme an der „gezielten Befragung“ in dieser Form von vornherein abgelehnt oder sie wieder zurückgezogen. Auch die österreichische Bundesregierung hat sich an der massiv bemängelten Konsultation nicht beteiligt.
Nachhaltigkeit und Risiko miteinander vermengt
Die 40 Organisationen werfen der EU-Kommission unter anderem vor, die Konsultation basiere auf Meinungen und Spekulationen. Nachhaltigkeitsbewertung und Risikobewertung würden unsachgemäß miteinander vermengt. Bei vielen wissenschaftlichen Berater:innen bestünden zudem Interessenkonflikte – wie vor kurzem die Fraktion der Grünen im Europaparlament untersucht und berichtet hatte.
Intransparente Deregulierung würde EU-Kommission selbst schaden
„Diesen einhelligen und eindringlichen, breit getragenen Einspruch aus Wirtschaft, Wissenschaft, Umwelt- und Verbraucherschutz, muss die EU-Kommission ernst nehmen. Es braucht eine wirklich ergebnisoffene Konsultation für dieses wichtige Thema. Ein intransparentes Deregulierungsverfahren schadet am Ende allen, nicht zuletzt dem Ansehen der Kommission selbst“, erklärte Florian Faber, Geschäftsführer der ARGE Gentechnik-frei.