Überblick

Neue Gentechnik: Massiver Verbesserungsbedarf bei Vorschlag der EU-Kommission – ein Überblick

Was ist bislang geschehen?

Mit ihrem im Sommer 2023 vorgestellten Vorschlag über neue Regeln für die Marktzulassung von Pflanzen und Produkten, die mit den Verfahren der Neuen Gentechnik (NGT) hergestellt wurden, sorgt die EU-Kommission für reichlich Turbulenz bei Lebensmittelwirtschaft, Politik und Konsument:innen. Viele Stimmen sagen, der Vorschlag sei unausgreift, ließe zahlreiche wichtige Fragen offen (wie z.B. Haftung, Patentrecht, Rückverfolgbarkeit, Kennzeichnung) und sei in starkem Maße von der Handschrift der Biotech-Lobbies geprägt…

Zu den Fakten:

  • Die EU-Kommission hat am 5. Juli 2023 einen Gesetzesvorschlag zur Deregulierung von mit neuen Gentechnikmethoden (z.B. CRISPR/Cas) veränderten Pflanzen vorgelegt. Dabei wird das Ausmaß von gentechnischen Veränderungen durch zwei Kategorien definiert: NGT1 & NGT2. Die Kategorie NGT1 macht laut Recherchen des deutschen Bundesamtes für Naturschutz BfN rund 94 Prozent aller aktuell in der Entwicklung befindlichen Anwendungen mit Neuer Gentechnik aus. Durch eine Herausnahme von NGT1 aus dem Regelungsbereich der geltenden Gentechnikrichtlinie, wie sie die EU-Kommission vorschlägt, würde das auf dem Vorsorgeprinzip basierende bestehende EU-Gentechnikrecht, das Elemente wie Umweltrisikoprüfung, Umweltmonitoring, Produktkennzeichnung, Rückverfolgbarkeit und nationale Opt-Out-Möglichkeiten vorsieht, ausgehöhlt.
  • Das Europaparlament hat seine Position am 7 Februar 2024 verabschiedet. Die EP-Position enthält eine Reihe an Verbesserungsvorschlägen: verpflichtende Produkt-Kennzeichnung, Rückverfolgbarkeit, Umweltmonitoring, die Möglichkeit, Zulassungen zu widerrufen und ein Verbot der Patentierung von NGT 1 und Mutagenese-Pflanzen sowie die Herausnahme von herbizidtoleranten Pflanzen aus der Deregulierung. Aber die EP-Position ruft auch Kritik hervor: keine Umweltrisikobewertung, kein Umweltmonitoring, keine Koexistenzmaßnahmen, keine Haftungsregelungen und kein nationales Opt-Out für Mitgliedsstaaten.
  • Das Votum des Ausschusses der Ständigen Vertreter (ASTV1) in Brüssel vom 14. März 2025 braucht keine formelle Bestätigung durch den Agrarministerrat mehr. Jetzt kann der Trilog –
    der komplexe Verhandlungsprozess zwischen EU-Kommission, EU-Parlament und EU-Rat –beginnen. Ein Ende dieser Verhandlungsrunden ist nicht abzusehen.

Wo liegen die größten Hürden und Probleme?

  • Die Patentproblematik wird nicht gelöst. Der Rat schlägt lediglich ein Transparenzregister vor, in dem Unternehmen freiwillig alle Patente eintragen können. Doch das reicht bei weitem nicht aus. Es bräuchte eine Reform des Europäischen Patentübereinkommens. Dieses geht aber weit über die Einflussmöglichkeiten der EU hinaus, da es als völkerrechtlicher Vertrag zwischen 39 Staaten abgeschlossen wurde.
    Aktuell darf durch Verfahren der Neuen Gentechnik Pflanzenerbgut patentiert werden, das schon in der Natur oder in alten Sorten vorkommt. Das blockiert die Züchtung neuer Sorten und kleinen Züchtungsunternehmen wird die Arbeitsgrundlage geraubt.
  • Eine Gentechnik-Kennzeichnung auf Lebensmitteln ist im Vorschlag des Rats nicht vorgesehen. Damit positioniert sich der Rat gegen große Mehrheiten bei den Konsument:innen: So ist es für 92 Prozent der Deutschen wichtig zu wissen, ob in ihrem Essen Gentechnik drinnen ist; und 89,9 Prozent der Konsument:innen aus Österreich unterstützen eine verpflichtende Kennzeichnung für Produkte aus NGT.
  • Koexistenz & Haftungsfragen bleiben ungeklärt. Es gibt keine Lösungen dafür, wie zwei landwirtschaftliche Betriebe in der gleichen Nachbarschaft miteinander auskommen sollen, wenn der eine Betrieb NGT nutzen möchte und der andere nicht (z.B. Biobauern). Es gibt aber auch keine Lösung dafür, wie es in der Lebensmittelverarbeitung weitergehen soll: So ist zum Beispiel die Haftungsfrage völlig ungeklärt – das Risiko müssen wohl die „Ohne Gentechnik“- und die Bio-Lebensmittelwirtschaft tragen, wie ein im Jänner 2025 veröffentlichtes Rechtsgutachten ausführt. Auch die Lebensmittelwirtschaft fordert immer deutlicher eine klare und konsequente Kennzeichnung von Produkten mit NGT.
  • Nahezu alle neuen NGT-Pflanzen würden ohne Risikoprüfung in die Umwelt freigesetzt werden können, vom Mais über Wildpflanzen bis hin zu Algen und Bäumen. Gepaart mit massivem Biodiversitätsverlust könnte diese Entwicklung die Flora an einem kritischen Punkt treffen. Die Gesellschaft für Ökologie, in der Ökolog:innen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz organisiert sind, hat hier Bedenken geäußert, die vom Rat nicht aufgegriffen wurden.
  • Ein Rechtgutachten der Grünen Bundestagsfraktion in Deutschland kommt zum Schluss, dass der Kommissionsvorschlag gegen das Vorsorgeprinzip verstößt.