„Neue Gentechnik“-Entwurf: EU-Kommission setzt Transparenz und Wahlfreiheit aufs Spiel

Verwirrung und Durcheinander bei DG Sante und EU-Kommission: Nach Terminchaos rund um die Vorlage des Gesetzesvorschlags zur neuen Gentechnik ist am 17. Juni ein „Leak“ des möglichen Vorschlags durchgesickert. Dieser Vorentwurf verursacht allerdings europaweit Kopfschütteln: widersprüchlich, wissenschaftlich nicht fundiert, in der Praxis nicht umsetzbar, von der Biotech-Industrie diktiert – so lauten nur einige der Kommentare. Lesen Sie hier unsere Bewertung dieses „Entwurfs“.

Die EU-Kommission will für den überwiegenden Teil der „Neue Gentechnik“-Pflanzen die bewährten Regeln für Risikobewertung, Zulassungsverfahren und Kennzeichn­ungs­­pflicht abschaffen. Das wäre das Ende für Transparenz und Wahlfreiheit. Mitglieds­staaten sollen Anbau „Neuer Gentechnik“-Pflanzen nicht mehr untersagen können.

Demnächst will die EU-Kommission den bereits mehrfach verschobenen Vorschlag zur Neuregelung der europäischen Gentechnik-Gesetze auf den Tisch legen – um den endgültigen Termin gibt es jedoch wenig Transparenz: Ursprünglich sollte es Anfang Juni sein, dann hieß es 5. Juli… jetzt könnte es noch später werden; manche munkeln sogar, dass diese EU-Kommission es gar nicht mehr schaffen könnte…

Seit Mitte Juni liegt ein erster durchgesickerte Entwurf vor – in dem allerdings wesentliche, vom EU-Ausschuss für Regulierungskontrolle (Regulatory Scrutiny Board) bereits im April dieses Jahres kritisierte Mängel und Schwachstellen noch nicht behoben sind. Würde diese Version umgesetzt, müsste ein Großteil der Lebens- und Futtermittel, die mit Verfahren der „Neuen Gentechnik“ (wie zum Beispiel CRISPR/Cas) hergestellt werden, künftig nicht mehr gekennzeichnet werden. Auch wissenschaftliche Risikobewertung, Rückverfolgbarkeit und Zulassungsverfahren würden dafür entfallen. Lediglich ein – in Umfang und Qualität nicht definiertes – Meldeverfahren und eine Saatgutkennzeichnung wären vorgeschrieben.

Das Aufweichen der bestehenden Gentechnik-Gesetze soll für alle Pflanzen gelten, „die auch in der Natur vorkommen oder durch konventionelle Züchtung erzeugt werden können“ – also die allermeisten der „Neue Gentechnik“-Pflanzen, die auf den Markt kommen können. Die Definition für derartige Pflanzen bleibt im Entwurf allerdings willkürlich und alles andere als wissenschaftlich fundiert. Die restlichen „Neue Gentechnik“-Pflanzen sollen, laut Vorschlag, weiterhin als solche gekennzeichnet werden, dürften aber noch zusätzlich ein fragwürdiges Nachhaltigkeits-Label tragen.

EU-Kommission setzt leichtfertig Wettbewerbsvorteil aufs Spiel

„Der vorliegende Entwurf der Kommission ist in sich unausgegoren und widersprüchlich. Er ist garantiert kein Instrument für eine nachhaltigere Lebensmittelproduktion, sondern, bei genauer Betrachtung, ein Affront gegenüber der in Europa höchst erfolgreichen Gentechnik-freien Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion. Die EU-Kommission setzt damit leichtfertig im Interesse weniger Akteure den großen Wettbewerbsvorteil der Landwirte, Hersteller und des Handels in Europa aufs Spiel, die international für Gentechnik-freie Qualitätsproduktion stehen. Österreich als europaweiter Vorreiter für Gentechnik-freie Lebensmittel wäre davon besonders betroffen“, erklärt Florian Faber, Geschäftsführer des Wirtschaftsverbands ARGE Gentechnik-frei. Allein in Österreich beträgt der Jahresumsatz mit Gentechnik-freien Lebensmitteln im konventionellen Sektor rund 2,5 Mrd. Euro; im Bio-Segment werden nochmals rd. 2 Mrd. Euro umgesetzt. Im deutschen Handel wurden 2022 rund 16 Mrd. Euro „Ohne Gentechnik“ umgesetzt.

Willkürliche und widersprüchliche Vorgaben für Kennzeichnung

Der Entwurf gibt vor, dass der Einsatz der „Neuen Gentechnik“ für die Bio-Landwirtschaft verboten bleibt. Allerdings: Wie und zu welchen Kosten dies ohne eine gesetzlich verankerte Kennzeichnungspflicht und Rückverfolgbarkeit gewährleistet werden kann, bleibt im Entwurf völlig ungeklärt. Ebenso die zentralen Fragen der Koexistenz, also des Nebeneinanders von „Neuer Gentechnik“ und „Ohne Gentechnik“ – dies sollen die Mitglieds­staaten klären. Den Anbau dieser Pflanzen der „Neuen Gentechnik“ national zu verbieten („Opt-out“) soll aber nicht mehr möglich sein.

„Mit diesem verkorksten Plan kann und darf die EU-Kommission nicht durchkommen. Das wäre völlig konträr zum Wunsch der Konsument:innen, und auch wirtschaftspolitisch fatal. Die rein willkürliche Unterscheidung zwischen kennzeichnungspflichtiger und nicht-kennzeichungspflichtiger Gentechnik versteht kein Mensch. Die Gentechnik-freie und die Bio-Produktion werden mit diesem Entwurf komplett im Regen stehen gelassen. Denn wie sollen sie in Zukunft sicherstellen, dass keine Gentechnik in ihre Produkte gelangt, wenn die EU-Kommission Kennzeichnung und damit Transparenz und Wahlfreiheit opfert?“, so Florian Faber.