Neue Gentechnik: Gutachten hält Pläne der EU für rechtswidrig

Der Vorschlag der EU-Kommission, einen Großteil der Pflanzen, die mit Hilfe der Methoden der sogenannten ‚Neuen Gentechnik‘ erzeugt wurden, mit der normalen Züchtung gleichzusetzen und damit aus dem Regel­werk des europäischen Gentechnikrechts auszunehmen, verletzt das EU-Grundgesetz und internationales Recht. Lebensmittelunternehmen hätten überdies große Rechtsunsicherheiten zu befürchten. Zu diesem Schluss kommt ein Rechtsgutachten, das die renommierte Berliner Kanzlei GGSC im Auftrag der Bundestagsfraktion der deutschen Grünen erstellt hat.

Die von der EU-Kommission geplante Abschaffung von Risikoprüfung und Kennzeichnungspflicht für einen großen Teil der Neuen Gentechnik-Verfahren verstößt demnach gegen das Vorsorgeprinzip, das im „EU-Grundgesetz“, dem Vertrag von Lissabon, verankert ist. Außerdem würde damit das völkerrechtlich verbindliche Cartagena-Protokoll verletzt. Dieses verlangt, dass vor dem Inverkehrbringen von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) einzelfallbezogene Risikoprüfungen durchgeführt werden.

Klage hätte gute Erfolgsaussichten

Sollte der Vorschlag tatsächlich beschlossen werden, hätte eine Nichtigkeitsklage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) daher gute Erfolgsaussichten, so das Gutachten. Denn dass es sich bei den CRISPR/Cas-Pflanzen, die die Kommission von den Gentechnik-Gesetzen ausnehmen will, um GVO handelt, ist Konsens und wird auch von EU-Kommission und Gentechnik-Befürwortern nicht in Frage gestellt.

Große Rechtsunsicherheiten für Unternehmen

Sowohl für Unternehmen im gesamten Lebensmittelsektor als auch für die Gentechnik-Hersteller selbst würde die geplante Abschaffung von Risikoprüfung und Kennzeichnung darüber hinaus zu großen Rechtsunsicherheiten führen. Wer würde für mögliche Schäden haften? Bräuchte es dennoch eine Risikobewertung wegen zivilrechtlicher Produkthaftung? Wären Gentechnik-Hersteller verantwortlich oder alle, die die Produkte wissentlich oder unwissentlich verwenden? Welche Versicherungen würden wofür haften? Wie kann die von der EU-Kommission von den Mitgliedsstaaten eingeforderte Koexistenz funktionieren, wenn es keinerlei europaweit einheitlichen Vorgaben oder Rahmenbedingungen dafür gibt? Welche Auswirkungen wird das von der EU-Kommission in seinem Vorhaben nicht berücksichtige Patentrecht mit sich bringen?

Angriff auf Transparenz und Wahlfreiheit

„Der Vorschlag der EU-Kommission ist also nicht nur ein Angriff auf die Transparenz am Teller – weil den Konsument:innen Gentechnik ungekennzeichnet aufgetischt und damit das Recht auf Wahlfreiheit vorenthalten werden soll. Er widerspricht auch den selbst auferlegten Regeln der EU und den damit eingegangenen internationalen Verpflichtungen. Sollte die EU-Kommission dennoch diese Pläne durch­setzen wollen, dann muss die österreichische Bundesregierung alle Mittel ausschöpfen, um dagegen vorzugehen – also jedenfalls auch Rechtsmittel,“ erklärt Jens Karg, Senior Policy Advisor der ARGE Gentechnik-frei.

„Jeder Staubsauger besser geprüft als unser Essen“

„Stimmen EU-Parlament und Ministerrat diesem Vorschlag zu, dann wäre künftig jeder Staubsauger in der EU besser geprüft als unser Essen“, so Harald Ebner von den deutschen Grünen, Vorsitzender des Umweltausschusses im Bundestag. „Der Vorschlag ist so schlecht, dass eine Klage dagegen gute Erfolgsaussichten hätte“, ergänzt Karl Bär (Grüne), Obmann im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft im Bundestag.

Auszug aus dem Gutachten zu Rechtsunsicherheiten für Unternehmen (Seite 7)

„Die fehlende Risikoermittlungs- und Kennzeichnungspflicht führt ferner zu großen
Rechtsunsicherheiten für Unternehmen. Sie wirft sowohl für die Entwickler und Inverkehrbringer von NGT-Pflanzen und NGT-Erzeugnissen der Kategorie 1 als auch für sämtliche Unternehmen der Lebens- und Futtermittelkette die Frage auf, ob und inwieweit sie für Schäden haften, die durch die Verwendung von NGT-Pflanzen und NGT-Erzeugnisse der Kategorie 1 entstehen können. Ist eine Risikoermittlung und -bewertung aufgrund der zivilrechtlichen Produktverantwortung erforderlich? Wer ist verantwortlich, diejenigen, die NGT-Pflanzen der Kategorie 1 entwickeln und in Verkehr bringen oder diejenigen, die sie verwenden? Wer muss welche Informationen (Einstufung, Eigenschaften, Risiken) ungefragt an seine Kunden weiterleiten oder von seinen Zulieferern erfragen? Welche Risiken sind von welcher Versicherung gedeckt?“

Das Gutachten kann auf der Website der Grünen Bundestagsfraktion abgerufen werden: https://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/themen_az/gentechnik/pdf/Gruene_im_Bundestag_Gutachten__Vereinbarkeit_des_Kommissionsvorschlags_zu_NGT_mit_dem_Vorsorgeprinzip.pdf