Neue Gentechnik: Heftiges Polit-Gezerre in Brüssel

Hitzig debattiert wird derzeit der Vorschlag der EU-Kommission, den bewährten Gentechnik-Rechtsrahmen für die „Neue Gentechnik“ (NGT) weitgehend aufzuheben. Sowohl im EU-Parlament als auch im Rat liegen die Positionen weit auseinander. Anstatt genügend Zeit und Öffentlichkeit zur Klärung der zahlreichen offenen Punkte zu geben, setzen die Kommission und der spanische Ratsvorsitz auf bislang noch nie dagewesenes Tempo.

Der Gesetzesvorschlag der EU-Kommission setzt Pflanzen und Produkte die als NGT 1 eingestuft werden, mit Pflanzen und Produkten aus konventioneller Züchtung gleich. Geht es nach der Kommission, müsste für diese künftig lediglich eine substanzielle Ähnlichkeit belegt werden, um sie aus dem bestehenden, seit 15 Jahren am Markt gut eingespielten Regelwerk der Gentechnik-Zulassung auszunehmen. Nach Untersuchungen des deutschen Bundesamtes für Naturschutz fallen derzeit 94 Prozent der Pflanzenentwicklungen in die Kategorie NGT 1.

Aktueller Stand der Diskussion

Aktuell befindet sich der Verordnungsvorschlag der Kommission in erster Lesung im Europaparlament sowie im Rat der Mitgliedsstaaten. Im EU-Parlament wurden allerdings mehr als 1.700 Änderungsanträge eingereicht (583 im Agrar- und 1193 im Umweltausschuss)! Avisiert ist eine Abstimmung im Agrarausschuss bereits für den 11. Dezember. Am 11. Jänner 2024 soll dann eine Abstimmung im Umweltausschuss (Hauptzuständigkeit) folgen. Bereits in der zweiten Jännerhälfte ist die Behandlung im Parlament vorgesehen – ein mehr als ambitionierter Zeitplan.

Im Rat versucht der spanische Vorsitz, ein enges Zeitkorsett zu schnüren. Viele der kritischen Fragen von Mitgliedsstaaten, die Bedenken an der geplanten Regelung äußern, werden „von den Spaniern ohne inhaltliche Debatte einfach weggewischt“, so ein Rats-Insider. Bereits am 6. Dezember soll im Ausschuss der ständigen Vertretung der Mitgliedstaaten eine Probeabstimmung durchgeführt werden.

Notwendige qualifizierte Mehrheit für den Gesetzesvorschlag mehr als fraglich

Für ihren Vorschlag benötigt die EU-Kommission eine sogenannte „Qualifizierte Mehrheit“. Für diese müssen mindestens 55 Prozent der Mitgliedstaaten, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten, ein positives Votum abgeben. Stimmenthaltungen werden wie Nein-Stimmen gewertet – daher liegt das Erreichen einer Sperrminorität jedenfalls im Bereich des Möglichen; ist aber auch keinesfalls sichergestellt. Aktuell steht es „Spitz auf Knopf“.

Kein politischer Schnellschuss – Zeit für Diskurs ist gefragt

Daher geht es jetzt darum, nochmals alle Kanäle zu mobilisieren, um bei einem völlig neuen Gesetzesrahmen, der unsere gesamte Lebensmittelproduktion beeinflusst und das Potenzial hat, die Zukunft der biologischen und der Gentechnik-freien Landwirtschaft zu bedrohen, keinen Schnellschuss durchzuführen.

Es braucht ganz dringend den gebotenen Raum für eine faktenbasierte Auseinandersetzung. Denn es gibt gute Gründe, warum auch für die Pflanzen und Produkte der „Neuen Gentechnik“ eine wissenschaftliche Risikobewertung, die Rückverfolgbarkeit und die Kennzeichnungspflicht am Produkt bestehen bleiben soll.