“Ohne Gentechnik”-Wirtschaft mit klaren Positionen an das Europaparlament
Aktuell verhandeln die EU-Gesetzgeber über eine neue Gesetzgebung für die Neuen Genomischen Techniken (NGTs) – oder klarer: Neue Gentechnik. Und: Die Unternehmen aus dem Lebensmittelsektor, von Landwirt:innen über Hersteller bis zum Einzelhandel, drängen in zunehmendem Maße darauf hin, pro-aktiv für ihr Recht zu kämpfen, weiterhin Lebensmittel ohne Gentechnik bzw. ohne NGT produzieren und verkaufen zu können. Dies wurde bei der hochrangigen Veranstaltung deutlich, die ENGA (European Non-GMO Industry Association) Mitte November im Europaparlament organisierte.
Die Veranstaltung, mitorganisiert von den S&D-Abgeordneten Maria Noichl (D) und Christophe Clergeau (F), bot den Unternehmen des Lebensmittelsektors die wichtige Gelegenheit, den Gesetzgebern in Brüssel ihren Standpunkt – und den der europäischen Konsument:innen – vorzutragen. Im Europaparlament wird aktuell der Gesetzesvorschlag der EU-Kommission, der eine weitgehende Deregulierung für NGTs vorsieht, in erster Lesung diskutiert.
Clergeau: Rechte der Bürger:innen und Landwirt:innen verteidigen
In seiner Videobotschaft zur Begrüßung äußerte sich Christophe Clergeau MdEP, Schattenberichterstatter der S&D im Umweltausschuss, mit glasklarer Kritik am Vorschlag der EU-Kommission. Er forderte insbesondere die Gewährleistung von Rückverfolgbarkeit und die Kennzeichnung von NGTs als unverrückbare Eckpfeiler, um die Konsument:innen auf transparente Weise zu informieren und ihnen die freie Wahl zu lassen, was sie kaufen und essen. Auch der Schutz für die Bio- und die „Ohne Gentechnik“-Produktion sowie wirkungsvolle und europaweit vergleichbare Koexistenzmaßnahmen sind für Clergeau essenziell, ebenso wie die Verankerung des Verursacherprinzips. „Wenn wir von neuen GVO hören, hören wir primär viele Versprechungen, wie z.B. Schutz vor dem Klimawandel. In der Realität sieht dies allerdings ganz anders aus. Wir müssen die Rechte der Bürger:innen und die Wertschöpfung der Landwirt:innen verteidigen„, so Clergeau.
Glaubwürdige „Ohne Gentechnik“-Kennzeichnung braucht Transparenz
ENGA-Generalsekretärin Heike Moldenhauer betonte in ihrer Begrüßung, dass Hersteller für die glaubwürdige „Ohne Gentechnik“-Kennzeichnung wissen müssen, welche Pflanzen mit GVO erzeugt wurden – sowohl „alt“ als auch „neu“: „Im aktuell vorliegenden Vorschlag werden fast alle Transparenzanforderungen für fast alle NGTs gestrichen! Ganz zu schweigen von den nicht vorhandenen Koexistenzregeln. Beide Vorschläge gefährden die Gentechnik-freie Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion massiv„.
Der Behauptung der EU-Kommission, es handele sich bei „Ohne Gentechnik“ lediglich um Nischenmärkte, widerspricht Moldenhauer auf das Allerschärfste. Denn: „Ohne Gentechnik“ ist ganz im Gegenteil ein bedeutender und innovativer Wirtschaftsmotor. Der konventionelle „Ohne Gentechnik“-Sektor mit einem Jahresumsatz 2022 von etwa 20 Mrd. Euro und der EU-Bio-Sektor mit einem Jahresumsatz 2021 von etwa 55 Mrd. Euro.
Scharfe Kritik aus der Lebensmittelbranche
Als erste kamen die Vertreter der „Ohne Gentechnik“-Wirtschaft zu Wort: Hans-Peter Dejakum von Loacker, einem familiengeführten Waffelhersteller mit Werken in den italienischen und österreichischen Alpen, erklärte: „Viele Länder sind sehr streng, was die Zulassung von GVO betrifft, daher muss dieser neue GVO-Vorschlag in Bezug auf die Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit sehr streng sein„. Sein Unternehmen setzt weltweit, auch in den USA, auf „Ohne Gentechnik“-Kennzeichnung. Für Loacker steht damit ein gewichtiges Qualitätsmerkmal auf dem Spiel.
Wieso wollen NGT-Hersteller die von ihnen gepriesenen Produktvorteile verstecken?
Wolfgang Ahammer von VFI – Oils for Life, tätig in Österreich, Deutschland und Tschechien, schlug sich auf die Seite der Konsument:innen: „In ganz Europa lehnen Konsument:innen GVO-Lebensmittel ab – egal ob wir diese NGTs oder New GMOs nennen. Es ist nicht hinnehmbar, dass Lebensmittel aus NGT 1 nicht gekennzeichnet werden müssen. Für uns als Hersteller ist es wichtig, dass der Einsatz von alten und neuen GVO nachvollziehbar gekennzeichnet wird und damit rückverfolgbar ist. Wir sollten den Einsatz dieser neuen Techniken jedenfalls auf den Produkten sichtbar machen. Wenn die Produkte so gut sind, wie man uns aktuell erzählt, müsste doch jeder Hersteller stolz darauf sein und dies auch am Produkt ausloben – und nicht schamvoll verstecken.„
Wahlfreiheit als wichtigstes Gut für Konsument:innen
Für Fritz Konz vom deutschen Einzelhändler tegut steht die Wahlfreiheit an erster Stelle. Für diese sei Transparenz und Kennzeichnung unverzichtbar: „Die Tatsache, dass wir uns von wissenschaftlichen Grundsätzen entfernen und den Konsument:innen keine Wahl lassen, ist ein Skandal. Transparenz und Wahlfreiheit sind aus der Lebensmittelbranche nicht mehr wegzudenken. Wenn jemand Produkte mit neuen GVO anbieten will, ist das schon in Ordnung – aber es muss erkennbar sein„, so Fritz Konz.
Bio ist ausnahmslos ohne Gentechnik
Als Vertreter des Bio-Dachverbandes IFOAM Organics Europe äußerte sich Jan Plagge mit aller Klarheit: „Biologische Lebensmittel müssen ausnahmslos ohne GVO, einschließlich NGTs, hergestellt werden. Die europäische Bio-Bewegung ist sich in diesem Punkt völlig einig: Wir sind gegen GVO – alte und neue! Das Verbot von NGTs in Bio muss ein verpflichtender Bestandteil der neuen Gesetzgebung sein“.
Sehr konträre Stimmen aus dem Europaparlament
Danach konnten die Abgeordneten des Europaparlaments auf die Bedenken der Unternehmen replizieren. Michaela Sojdrová von der Europäischen Volkspartei, Schattenberichterstatterin im AGRI-Ausschuss, erklärte, dass sie keine Kennzeichnung für NGTs fordere, weil dies technisch nicht möglich sei. NGTs würden benötigt werden, um Ernährungssicherheit und Züchtungsinnovation zu gewährleisten. Dies war auch das Anliegen von Juozas Olekas von der Fraktion der Sozialisten & Demokraten (S&D), ebenfalls Schattenberichterstatter im AGRI-Ausschuss: „Sichere, ausreichende und erschwingliche Lebensmittel sind von grundlegender Bedeutung und müssen Priorität sein. NGTs können Instrumente sein, um höhere Erträge zu erzielen – mit weniger Land, weniger Wasser und Pflanzen, die resistenter gegen den Klimawandel sind.“
Dem widersprach seine Parteikollegin aus der S&D, Maria Arena, mit aller Deutlichkeit: NGTs können unterschiedliche unerwünschte Auswirkungen haben – auf die Gesundheit, auf Pflanzen und auf die biologische Vielfalt. Besondere Bedenken übt Arena am Kontaminationsrisiko, das NGTs für die benachbarte Landwirtschaft darstellen.
Gesetz soll schnell und ohne Diskurs verabschiedet werden
Martin Häusling, Biobauer und langjähriger Europaparlamentarier der Grünen und deren Schattenberichterstatter im Umweltausschuss, zeigte sich zutiefst besorgt darüber, dass der Vorschlag im Eiltempo durchgepeitscht wird: „Diese extrem komplexe Materie wird ohne ausreichend Zeit für eine öffentliche Debatte durchgedrückt. Wir sollten uns die Zeit nehmen, dies in aller Ernsthaftigkeit zu diskutieren – mit den Menschen, die es letztendlich betrifft.“ Besorgt mache ihn, dass es keine nachvollziehbare wissenschaftliche Grundlage für die Gesetzgebung gäbe. „Da will ganz eindeutig eine starke Lobby ein Gesetz möglichst schnell und ohne Diskurs durchdrücken“. Dabei seien viel der möglichen Auswirkungen auf kleine Züchter, Landwirt:innen und EU-Bürger:innen noch völlig unzureichend untersucht.
Eine signifikante Bedrohung für die Demokratie!
Maria Noichl wiederholte in ihren abschließenden Bemerkungen die von den anderen Rednern geäußerte Verwunderung über den fachlich unsauberen Gesetzesvorschlag und das enorme Tempo, mit dem EU-Kommission und die spanische Ratspräsidentschaft diesen verabschieden wollen. „Das Potenzial der NGTs wurde noch nirgendwo schlüssig bewiesen!„
Noichl betonte auch die inhärente Ungerechtigkeit des aktuellen Vorschlags: „Ein zentrales Thema ist völlig ungeklärt: Wer trägt die Haftung? Die Vorteile dieser möglichen Express-Zulassung liegen allesamt bei einigen wenigen multinationalen Unternehmen. Die Risiken und die Haftung liegen allerdings bei uns allen – dies ist zutiefst undemokratisch.“ Dem Gesetz würde viel zu wenig Zeit und Aufmerksamkeit gewidmet. Mit dem geplanten Durchpeitschen sollen vollendete Tatsachen geschaffen werden – „Türen werden geschlossen, die später nicht wieder geöffnet werden können„. Aus ihrer Sicht stelle der Gesetzesentwurf der EU-Kommission in seiner jetzigen Form eine „signifikante Bedrohung für die Demokratie“ dar.
Eine allesamt hoch interessante Diskussion, mit überaus wertvollen Stimmen und Positionen aus der „Ohne Gentechnik“-Wirtschaft – die selbst überzeugten Befürwortern des Gesetzesvorschlags ordentlich zu Denken aufgaben!